Ego-State-Therapie

Die Ego-State-Therapie ist eine psychotherapeutische Methode aus der Traumatherapie. Sie wurde von John und Helen Watkins entwickelt.

Menschen, die seelisch schwer verletzt wurden (traumatisiert), entwickeln zum Schutz ihrer Persönlichkeit Abwehrmechanismen gegen die mit der Verletzung verbundenen Schmerz- und Angstgefühle. Einige tun dies, indem sie ihre Persönlichkeit in verschiedene Ich-Anteile (englisch: Ego States) aufteilen. Dies geschieht zunächst fast immer unbewusst. Diese Ich-Anteile können wie „eigene Persönlichkeiten“ ein Eigenleben entfalten, mit „eigenem“ Willen, „eigenen“ Gedanken und Gefühlen.

Die Ego-State-Therapie hilft den Betroffenen, diese Ich-Anteile wieder besser in Richtung einer ganzheitlichen Persönlichkeit miteinander zu verbinden. Die Ego-State-Therapie basiert auf der Theorie, dass die Persönlichkeit aus verschiedenen Ich-Anteilen, sog. Ego States besteht. Diese Anteile sind umgrenzte und beschreibbare Unterpersönlichkeiten. Sie berücksichtigt psychoanalytische Theorien, hypnoanalytische Techniken und neuere Erkenntnisse aus der Behandlung dissoziativer Störungen. Unter „Ich-Anteil“ versteht man einzelne Aspekte der Persönlichkeit, des eigenen Selbst.

Ein gesunder, nicht traumatisierter Mensch kennt und nutzt etwa 5–15 solcher Ich-Zustände. Sie sind klar bewusst und werden vom Ich gelenkt. Die meisten solcher Ich-Anteile entstehen in der Kindheit im Zuge der normalen Entwicklung. Gesunde Ich-Anteile sind z. B. der „kompetente Fachmann“, der vor seinen Kollegen einen Fachvortrag halten kann, oder der „gute Gastgeber“, der „Coole Typ“ in der Disco, oder der begeisterte „Radrennfahrer“. Das sind Anteile, über die der Mensch verfügt und je nach Bedürfnis zwischen ihnen umschalten kann.

Im Übergangsbereich zwischen den gesunden und den abgespaltenen Anteilen gibt es ungesunde, integrierte und bewusst zugängliche Anteile, die auch ohne Hypnose oder Trance therapeutisch bearbeitbar sind.

Ein neuer Ich-Anteil kann auch als Folge eines Widerstands in der Therapie auftreten. Der Patient wird z. B. „plötzlich so müde“. Dadurch soll das Bewusstwerden einer alten, der aktuellen Realität schlecht angepassten Struktur des Patienten (beziehungsweise beängstigender Gefühle dahinter) verhindert werden. Der neue Ich-Anteil hat die Aufgabe davon abzulenken, „dass es da etwas gibt“, beziehungsweise einen anderen Ich-Anteil, der mit der Gestaltung der alten, heute unangemessenen Struktur beauftragt war, zu schützen.

Mit traumatisch verletzenden Situationen verbundene Gefühle können so stark sein, dass Menschen sie nicht aushalten können. Auch konfliktbeladene Situationen können an einen Menschen Forderungen stellen, worauf er noch keine Antwort hat und die eine entsprechend tiefe Angst auslösen können. Dagegen wird ein Abwehrmechanismus aufgebaut.

Eine Form ist die Abspaltung von Ich-Anteilen. In diesen sind Gefühle und Energien ungelöster Traumata abgespeichert. Einzelne Ich-Anteile können sich auch überlagern und gegenseitig verstärken. In idealer Reinform tritt ein einzelner Ich-Anteil selten zu Tage.

Beispielsweise sei ein Mensch betrachtet, der von Kindheit an von einem Familienmitglied misshandelt wird. Inzwischen lebt er als Erwachsener in einer eigenen Wohnung, die vom Täter weiterhin zu Gewalthandlungen aufgesucht wird. Sein gesunder, in der Therapie kontaktierbarer Ich-Anteil kann die neue Information lernen „Du musst ihn nicht reinlassen.“ Das wird den Menschen zwar stärken, dennoch sagt er z. B. „Ja, aber ich kann es nicht versprechen.“ Denn da gibt es auch noch den täteridentifizierten Anteil, der glaubt, gemäß der früheren Erfahrung den Menschen weiterhin schützen zu müssen, indem er tut, was der Täter verlangt. So kann es zu der kontinuierten Entscheidung kommen, den Täter wider besseres Wissen immer wieder in die eigene Wohnung hereinzulassen, nach dem alten Motto: „Du musst tun was er will, sonst schlägt er Dich tot“. Dieser Anteil ist abgespalten und unterliegt nicht mehr der Ich-Kontrolle.

Abgespaltene Ich-Anteile erscheinen so, als hätten sie eine „eigene Persönlichkeit“, mit „eigenen“ Gefühlen und Gedanken. Sie halten ihre Existenz für hilfreich und überlebenswichtig, sind potentiell auch auf lebenslanges Bestehen angelegt. Manche „kennen“ sich gegenseitig und sind miteinander in Kontakt. Andere sind gänzlich abgespalten sog. „Untergrund-Ich-Anteile“; die Kern-Persönlichkeit ist nicht mehr in Kontakt mit ihnen und sie sind oft nur noch mittels Hypnose oder Trance zugänglich. Oberstes Ziel der Ego-State-Therapie ist, den Stress im inneren System zu reduzieren und die Energie wieder auf den Aufbau eines erfüllten Lebens auszurichten. Der Klient soll lernen, die unterschiedlichen Persönlichkeitsanteile und die damit verbundenen Bedürfnisse und Standpunkte besser miteinander abzustimmen und sich für die wesentlichen zu entscheiden. Je nach Schweregrad der Störung können die Ich-Anteile vollständig integriert werden (Inneres Team), oder sie werden, nun gelenkt vom eigenen Selbst, symbolisch weiterhin als „eigene Persönlichkeiten“ betrachtet, aber jetzt konstruktiv-integrativ eingesetzt. Die abgespaltenen Ich-Anteile sind ein Teil vom eigenen Selbst. Es ist sehr wichtig, sie als wertvolle Ressource anzunehmen. Sie haben treu über lange Jahre genau das getan, womit sie einst beauftragt wurden. Auch wenn sie heute nicht mehr angemessen für das Selbst des Klienten sorgen können.