Systemische Therapie

Die Grundzüge der systemischen Therapie und Beratung sind Hauptbestandteil unserer Arbeit und Denkungsweise. Sie beruhen auf modernen Konzepten systemtheoretischer Wissenschaft, die mittlerweile Einzug fast alle Disziplinen der Natur-, Geistes-und Sozialwissenschaften gefunden haben. Sie ermöglichen es uns, komplexe Phänomene, die das menschliche Zusammenleben charakterisieren, komplexgerecht aufzufassen und so eine passende Methodik der Behandlung zu entwickeln. Nach dem Verständnis der systemischen Therapie ist der Mensch immer zugleich als biologisches und als soziales Wesen zu begreifen.

Hier wird die dynamische Wechselwirkung zwischen biologischen und psychischen Eigenschaften auf der einen Seite, und sozialen Bedingungen des Lebens auf der anderen Seite in das Zentrum unserer Betrachtungen gestellt, um das Individuum Mensch und seine psychischen Störung angemessen verstehen zu können. Die systemische Therapie verfügt über eine eigene klinische Theorie zur Erklärung und Behandlung psychischer Störung. Hier werden psychische Krankheiten als Störung der Systemumweltpassung gedeutet. Die individuellen Symptome werden als Ergebnis von krankheits- erzeugenden und –aufrechterhaltenden Beziehungsmustern der wichtigen Bezugspersonen betrachtet. Nach Möglichkeit werden diese Personen den therapeutischen Prozess mit einbezogen.

Für die Einzeltherapie stehen aber auch geeignete Methoden zur Verfügung. Auch hier ist eine Haltung des Respekts, der Unvoreingenommenheit, des Interesses und der Wertschätzung der bisherigen Handlung-und Lebensstrategien ein wichtiger therapeutischer Grundsatz.

Kurze Geschichte

Die Familientherapie war der Ursprung der systemischen Gedanken. Diese Bewegung entstand in den 1950-iger Jahren in den USA. Hier entstand sie mehr oder weniger gleichzeitig an verschiedenen Orten, ohne dass die Begründer voneinander wussten oder sich gegenseitig beeinflussen konnten. Es gab also weder einen Vater noch einen Mutter für diese Therapierichtung.

Ausschlaggebend für diese neue Behandlungsform in der Familientherapie war durchweg die Ohnmacht der Therapeuten in der Behandlung psychotischer Patienten, hier besonders die psychotischen Jugendlichen. Nach anfänglichen Therapie erfolgen stellte sich bald eine hohe Rückfallquote ein. Immer häufiger fiel auf, in was für einem hohen Maße die Familienmitglieder in den Problembereich des erkrankten Familienmitgliedes verstrickt waren. Immer mehr gewann man den Eindruck, dass die Familienangehörigen gerade dann die erkrankte Person aus die Therapie herausnahm, wenn erste Erfolge zu sehen war. Daraus ergab sich, dass man sich zunehmend den Familien der erkrankten zuwandte und so meinte, Ursachen und damit auch die Schuld für das kranke Verhalten der Patienten im gestörten Verhalten der Familienmitglieder zu finden.

Die ersten Anstöße zu einer neuen Sichtweise entwickelte die Forschergruppe um Gregory Bateson in Palo Alto. Hier wurden Paradoxien in der Kommunikation untersucht. Es wurde sich dabei auf drei wichtige Aspekte fokussiert: Eine Theorie der Kommunikation, eine Methodologie der Veränderung und eine passende therapeutische Praxis. 1956 wurde dann in einem Forschungsbericht die wissenschaftsgeschichtlich prominente „Double-Bind-Hypothese“ (engl. „double–bind“) veröffentlicht. Eine wichtige Voraussetzung dieser Entwicklungen waren die Vorarbeiten zum Themenkomplex Kybernetik. Auf dieser Basis entwickelte sich dann das neue Konzept der Familientherapie. Der problemlösende Ansatz der systemischen Therapie wurde in den fünfziger Jahren am Mental Research Institute (MRI) in Palo Alto von Don Jackson, Gregory Bateson, John Weakland und Richard Fisch entwickelt. Hierbei setzte sich immer mehr die Überzeugung durch, dass es einfacher und erfolgreicher ist, ein Interaktionssystem zu therapieren statt eines Individuums.

Eine entscheidende Rolle im Entwicklungsprozess spielte Salvador Minuchin. Als bedeutender Familientherapeut der 1960-iger Jahre prägte er durch seine Strukturelle Familientherapie das Verständnis vieler nachfolgender Therapeuten und Pädagogen für die Bedeutung von Strukturen und Grenzen in Familien. Er entwickelte mit Jay Haley, Braulio Montalvo und Bernice Rosman ein Trainingsprogramm für Familientherapeuten, in dem Video-Beobachtung und Live-Supervision schon damals zum Standard gehörten. Virginia Satir gilt als Mutter der systemischen Therapie. Sie hat das systemische Repertoire und die Methodik erweitert und weiterentwickelt: erstens durch die Familienskulptur, zweitens die Familienrekonstruktion, drittens die Parts Party. Dadurch können biographische Muster und transgenerationale Problemstellungen entdeckt und bearbeitet werden, bzw. im dritten Fall eigene Persönlichkeitsanteile sichtbar gemacht und integriert werden.

Der deutsche Psychoanalytiker und Pionier der Familientherapie Helm Stierlin hatte von 1974 bis 1991 den Lehrstuhls für Psychoanalytische Grundlagenforschung und Familientherapie der Universität Heidelberg inne. Er sammelte um sich ein Kreis junger, engagierter Therapeuten (die Heidelberger Schule) und verbreitete den narrativen Ansatz, Mehrgenerationenperspektive, Genogramm und Paartherapie. Zu seinen Mitarbeitern zählten Arnold Retzer, Gunther Schmidt, Fritz B. Simon und Gunthard Weber. Sie ermutigten ihren Klienten und Klientinnen zu neuen – oft lösungsorientierten – Erzählmustern, fordert sie auf, Briefe an sich selbst zu schreiben, und fördert therapeutische Sprachübungen im Geleit des Konstruktivismus.

Familienaufstellung bzw. Systemaufstellung sind als weiterentwickelte Methoden der Familienskulptur nach Virginia Satir heute in der Systemischen Therapie im deutschen Sprachraum weit verbreitet. Umstritten jedoch ist die Variante des Familienstellens nach Bert Hellinger, der die systemische Community in Deutschland seit mehr als einem Jahrzehnt polarisiert. Aufstellungen werden nicht nur für Gruppen von Menschen (Familien, Teams, Firmen bzw. deren Abteilungen), sondern auch für Symptomkomplexe oder Teilpersönlichkeiten bzw. Persönlichkeitsaspekte einer Person sowie für unterschiedliche Aspekte einer Sache vorgenommen.

Insoo Kim Berg und Steve de Shazer verfassten in Milwaukee die lösungsfokussierte Kurzzeittherapie. Philosophisch beeinflusst vom österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein geht dieser Ansatz davon aus, dass Problem und Lösung zwei verschiedenen Welten angehören. Die Problemstellung tritt in den Hintergrund, ebenso die Familie als System.

Von Milton H. Erickson inspiriert versteht Steve de Shazer das gesamte „Therapiegeschehen“ als Prozess der Entwicklung und Loslösung vom jeweiligen Problem. Wichtige Instrumente der lösungsfokussierten Kurzzeittherapie sind eine Problemskalierung (zwischen 1 und 10 nach Belastungsgrad) und der Interventionsablauf, der als Wunderfrage bezeichnet wird.

Die Systemische Therapie basiert auf den Werken Gregory Batesons, der Doppelbindungstheorie, der Philosophie des radikalen Konstruktivismus von Heinz von Foerster und Ernst von Glasersfeld sowie Paul Watzlawicks und den Ansätzen von Steve de Shazer, der wiederum beeinflusst wurde von Ludwig Wittgenstein, als Begründer des lösungsorientierten Ansatzes.

Therapieansatz

Dieser historisch aus der Familientherapie entwickelte Ansatz sieht das familiäre System bzw. das organisatorische System eines Unternehmens als Ressource. Auf diesem aufbauend kann das einzelne Mitglied sowohl seine Fähigkeiten und Stärken als auch Verhaltensstörungen entwickeln. Zeigt ein Mitglied der Gruppe psychische Probleme oder Verhaltensauffälligkeiten, so wird der Betreffende als Symptomträger für das Gesamtsystem betrachtet. Dies kann sich z.B. in typischen privaten Konflikten mit dem Partner oder in immer wiederkehrenden Problemen mit Kunden oder Kollegen zeigen.

Die Weiterentwicklungen zur Systemischen Therapie kennen bis heute keine dezidierte Störungslehre. Eine Diagnostik von „Störungen“ oder gar „psychischen Krankheiten“ wird samt traditionellen Psychopathologiekonzeptionen überwiegend explizit als inadäquat abgelehnt. Dies hat einerseits die theoretische Nähe zu lösungsfokussierten Ansätzen zur Folge und dürfte gleichzeitig den größten und bislang kaum zu überwindenden Gegensatz zu Grundorientierungen der etablierten psychotherapeutischen Versorgung und dem Selbstverständnis des deutschen Gesundheitssystems ausmachen, das weitgehend störungsorientiert operiert und theoretisch hauptsächlich behavioristisch oder psychoanalytisch orientiert ist. In der Systemischen Therapie werden soziale oder psychische Auffälligkeiten nicht als „krank“ bzw. pathologisch, sondern als prinzipiell verstehbare Reaktion auf Probleme oder Anforderungen gesehen, die gelegentlich selbst problematisch sein können.